Kästner, Abraham Gotthelf (1719-1800)


In einem der Lehrgedichte von Kästner (es ist das achte von 1740) wird das gespannte Verhältnis von Text und Philologie erörtert. Dabei werden im folgenden Auszug auch einige Wörterbücher erwähnt - u.a. die von Pitiscus, Graevius und Nizolius

Lesen wir Cicero nur, um anhand seiner Texte die lateinische Sprache zu lernen? Sollten wir nicht umgekehrt Latein lernen, um Cicero zu verstehen? Diese Diskussion hat, wie mir scheint, auch im 21. Jahrhundert nichts von ihrer Aktualität verloren. 


Ihr lerntet Sprach und Brauch, die Schriften zu verstehn:
Die Schriften liest man jetzt, um Sprach und Brauch zu sehn.
Wenn hier des Römers Mund verfolgte Tugend schützet,
Der voll gerechten Zorns auf Catilina blitzet,
Bald uns die Kunst erklärt, durch die er Rom regiert,
Bald zu der Weisheit uns durch gründlich Zweifeln führt;
Wer ist es, der ihm folgt, und in dem theuren Werke
Vom Weisen denken lernt, und fühlt des Redners Stärke?
Wozu gebraucht man es? Um ängstlich nachzusehn,
Ob diese Worte wohl in dieser Ordnung stehn?
Ob man die Spuren noch von jenem Brauche finde?
Ob er sich auf ein Stück vergeßner Rechte gründe?
Doch nein, ich irre mich. Hat nicht ein jedes Wort
Schon im Nizolius den angewies'nen Ort?
Pitisci Lexicon ist ja in allen Händen,
Es sind Register g'nug bey Grävens ew'gen Bänden.
Nur diese schlägt man auf. Was hilft uns Tullius,
Als daß man noch sein Buch zum Staate zeigen muß?
Man braucht ihn wahrlich nicht, um sich gelehrt zu nennen.
Was braucht man sonsten? das A B C zu kennen.
Unwissend eitler Fleiß, da man mit Schaalen spielt,
Und nie den innern Reiz von alten Schriften fühlt.


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