Wildermuth, Ottilie (1817-1877)


Wie schädlich es für eine Beziehung sein kann, wenn die Frau es mit der Bildung zu weit treibt, mag man aus dem folgenden Zitat ersehen, in dem - das wollen wir schon einmal verraten - auch ein Wörterbuch vorkommt. Das Zitat stammt aus der Erzählung "Tote Treue" von Ottilie Wildermuth. Sie wurde zunächst in Cottas "Morgenblatt für gebildete Stände" abgedruckt und dann in den 1855 erschienenen Sammelband "Aus dem Frauenleben" aufgenommen.

Elise ist mit einem Pfarrer verheiratet. Den "Hauptreiz einer Ehe" sieht sie in den gemeinsamen gelehrten Studien der Gatten - aber lesen Sie selbst:

Nun ist es gewiß nicht nötig für den Wert einer Frau und das Glück ihres Mannes, daß sie Latein versteht und Griechisch treibt, aber ein absolutes Hindernis ist es doch sicherlich auch nicht. Der Pfarrer aber schätzte zwar weibliche Bildung und hatte sich auch der Seltenheit halber in den griechischen Heften seiner Braut ergötzt; eigentlich aber hatte er vor weiblichem Wissen ganz den hergebrachten Abscheu der Männer, die nie so ehrlich und so tief auf den Grund der Verhältnisse geblickt, um zu erkennen, daß wertlose Ehen, freudlose Häuslichkeiten gewiß mehr auf Rechnung flacher, vergnügungsüchtiger als lernlustiger Weiber zu schreiben sind. Er wollte seiner Frau in nichts Zwang anlegen; er selbst gehörte nicht zu den Männern, denen ihr Beruf Handwerk und die Wissenschaft Handlangerin ist; er gab sich mit Eifer ernsten, tiefgehenden sprachlichen und theologischen Studien hin; wenn er aber müde von Amtsgeschäften und Studien mit der Pfeife zu seiner Frau herabkam, so wollte er ausruhen in einer leichten Unterhaltung oder in behaglichem Schweigen, das Männern so viel genußreicher ist, als Frauen begreifen können. Kam dann seine Frau mit dem griechischen Wörterbuch, mit Plato und Plutarch angezogen, so wurde ihm angst und bange. »O Schatz, nur heute nicht mehr studieren!« hieß es fast jeden Abend. »Willst du mit Gewalt Klassiker lesen, so gibt's Übersetzungen genug; komm, setz dich zu mir und erzähle mir was Schönes!« Elise trug schweigend, mit gekränkter Würde die Bücher weg und holte ihr Strickzeug. »Unverstanden!« tönte es abermals in ihrer Seele, und die Mauer zwischen den beiden Herzen wuchs unbemerkt höher und höher und warf ihren Schatten in das kaum angepflanzte Gärtchen häuslichen Glücks.


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